Keine meiner Tätigkeiten in diesem Lehrjahr löst bei GesprächspartnerInnen so emotionale Reaktionen aus wie mein Praktikum im Pflegeheim. „Puh, das ist aber wirklich schwer“, „Das könnte ich nie machen“ und „Meine Hochachtung für alle, die in der Pflege tätig sind“ gehören zu den häufigsten Kommentaren. Nun liegt es natürlich auf der Hand nachzufragen, warum eine derart geschätzte Arbeit schlechter bezahlt ist als Jobs, denen weniger Persönlichkeitskompetenz und Belastung zugeschrieben wird. In diesen Tagen beschäftigt mich auch die Frage, warum derart geschätzte Arbeit so oft von Angehörigen der zu Pflegenden abwertend kritisiert wird. Auch die Pflegenden selbst müssen mitunter einiges einstecken. Und sie sind angehalten, genauestens Protokoll über die Pflegetätigkeiten zu führen – nicht nur, um innerhalb eines Pflegeteams gut abgestimmte Arbeit zu gewährleisten, sondern auch, um im Fall des Falles vor Gericht erklären zu können, wann welche Pflegemaßnahmen gesetzt wurden. Ich habe mir sagen lassen, dass es PflegerInnen durchaus passieren kann, von Angehörigen für den unzufriedenstellenden Gesundheitszustand eines Patienten oder eines Patientin so weit verantwortlich gemacht zu werden, dass es sogar zu Anzeigen kommt.
Also, irgendwas passt da nicht zusammen. Hier verrichten Menschen eine hoch geschätzte Arbeit, man kann ihnen auf nichts neidig sein, nicht einmal auf ein hohes Gehalt, und dann sind sie regelmäßig mit Vorwürfen konfrontiert. Hier ist eine Institution, das Pflegeheim, das gebraucht und dessen Arbeit geschätzt wird, und doch erfreut sich ein Pflegeheim an sich keiner großen Beliebtheit. Man mag es nicht, man braucht es, will es aber nicht brauchen. In der genaueren Betrachtung dieser Ambivalenz wird mir eines klar:
So sehr die Arbeit der Pflegenden auch geachtet wird, so fürchten sich die meisten Menschen doch davor, die Leistungen selbst einmal in Anspruch nehmen zu müssen. Nicht die beobachtete Leistung der Pflegenden ist das eigentliche Problem, sondern die Angst davor, selbst Pflegefall so werden. Nicht das Verhalten des Pflegepersonals gegenüber Demenzkranken und körperlich massiv beeinträchtigten Personen schreckt ab, sondern die mit Hilflosigkeit prall gefüllte Vorstellung, selbst einmal dement und körperlich ganz und gar auf andere angewiesen zu sein. Diese Angst lässt Angehörige ärgerlich, ungeduldig, zurechtweisend oder anklagend werden. Es ist die Anklage gegen die möglicherweise nicht zu verhindernde eigene Begrenztheit, den Kontrollverlust und die einfach nicht fassbare Persönlichkeitsveränderung. Das Davonlaufen vor dem inneren Spiegelbild als hilfloser Heimbewohner oder verwirrte Heimbewohnerin äußert sich als Aggression gegen die Institution und deren MitarbeiterInnen. Sie wird zum Ärger über jene, die einen in dieser Lebensituation noch auffangen. Ihr Da-Sein verhindert ein Verleugnen einer erschreckenden Option für die letzte Phase des eigenen Lebens. Auch das haben ArbeitnehmerInnen in Pflegeberufen zu tragen und zu ertragen. Und auch das ist in politischen Entscheidungen, die diesen Berufsstand treffen, zu bedenken.
Zu konkreten politischen Forderungen siehe: http://burgenland.gruene.at/gute-pflege-braucht-zeit-und-angemessene-tagsaetze